Täuschungsgefahr durch Gentechnik-Siegel? – Ohne Gentechnik

Täuschungsgefahr durch Gentechnik-Siegel? – Ohne Gentechnik

Der Fall: Im Jahre 2009 entwickelte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zur Verbraucheraufklärung ein besonderes Gentechnik-Siegel:

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Es soll gentechnisch unveränderte Produkte von solchen Produkten unterscheiden, die genetisch veränderte Organismen (GVO) enthalten.

Für ein derartiges Siegel ist die Gewährleistungsmarke das geeignete markenrechtliche Schutzinstrument. Sie unterscheidet bestimmungsgemäß Waren mit zertifizierten Eigenschaften von solchen Waren, die nicht zertifiziert sind. Im vorliegenden Fall somit zertifizierte genetisch unveränderte Produkte von solchen, die nicht zertifiziert sind. Und die Gewährleistungsmarke verspricht eine unabhängige Zertifizierung. Die genauen Angaben der zu zertifizierenden Eigenschaften und die Benutzungsbedingungen sind in einer Markensatzung festlegt. Sie wird zusammen mit der Marke im Markenregister für jedermann veröffentlicht.

Das Ministerium hatte dem „Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e.V.“ (VLOG) die Nutzungsrechte an dem Gentechnik-Siegel verliehen. Der Verband meldete deshalb das Siegel als Gewährleistungsmarke an, und zwar unter anderem für Lebensmittel und Futtermittel. Auf seiner Website wirbt der Verband damit, dass das Siegel Lebensmittel ohne Gentechnik garantiert:

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Die Satzung, die der VLOG mit der Anmeldung für die Benutzung des Siegels einreichte, verlangt zwar die Freiheit von genetisch veränderten Organismen. Sie lässt gleichzeitig aber einige anerkannte Ausnahmen davon zu.

So darf das Siegel unter anderem auch dann benutzt werden, wenn Lebensmittel oder ihre Zutaten technisch unvermeidbare oder zufällige Spuren genetisch veränderter Organismen enthalten. Dies wird bis zu einer Bestimmungsgrenze von 0,1 % je Zutat toleriert. Umgerechnet sind das bis zu 1 g genetisch veränderter Organismen je Kilogramm Zutat.

Und Rinder brauchen beispielsweise nur 12 Monate vor der Schlachtung und drei Viertel ihres Lebens keine gentechnisch veränderten Futtermittel erhalten zu haben. Bei kleinen Wiederkäuern, wie Schafen, endet der Toleranzzeitraum sechs Monate vor der Schlachtung. Bei Schweinen ist dies ein Zeitraum von vier Monaten, bei milchproduzierenden Tieren ein Zeitraum von drei Monaten, bei Geflügel für die Fleischerzeugung ein Zeitraum von zehn Wochen, wenn die Tiere innerhalb ihrer ersten drei Lebenstage eingestallt wurden. Geflügel für die Eierzeugung muss lediglich innerhalb der letzten sechs Wochen gentechnikfrei gefüttert werden.

Das EUIPO lehnte auf dieser Grundlage die Eintragung der Gewährleistungsmarke ab. Eine Gewährleistungsmarke dürfe den Verbraucher nicht täuschen. Das sei jedoch hier der Fall. Die Marke verspreche die Freiheit von Gentechnik, halte dieses Versprechen jedoch nicht.

Dem trat der VLOG entgegen. Er berief sich der auf die vollständige Übereinstimmung der Satzung mit den europäischen Regeln und auch den strengeren Vorschriften des deutschen Rechts. Die Lebensmittelherstellung sei zudem komplex und vielschichtig. Einzelne Schritte müssen regelmäßig von Dritten übernommen werden. Es sei nicht zumutbar, ohne jegliche Einschränkung sicherstellen zu müssen, dass das zugelieferte Endprodukt zu 100,0% gentechnikfrei hergestellt worden ist. Zudem sei der Verbraucher in Bezug auf Lebensmittel sehr informiert und rechne mit minimalen Verunreinigungen.

Dem folgte das EUIPO allerdings nicht. Das von der Marke angesprochene allgemeine deutsche Publikum kenne solche Ausnahmen für genetisch zugelassene Organismen nicht. Es werde sich deshalb am Wortlaut der Marke orientieren. Eine zertifizierte Eigenschaft werde das Publikum in der Regel umso eher im Wortsinn verstehen, je weniger sprachliche Differenzierungen möglich sind.

Das sei keine Kritik an den Ausnahmen unter Gesundheitsaspekten. Auch sei nachvollziehbar, dass sich ein geringer Anteil gentechnischer Bestände gar nicht vermeiden lässt.

Bei der Wortfolge „Ohne Gentechnik“ bestehe jedoch keinerlei Interpretationsspielraum für Ausnahmen. Auch die grafischen Elemente des Siegels hatten keinerlei einschränkende Wirkung. Sie unterstützten die Wortelemente vielmehr lediglich.

Die Sachlage sei anders als etwa bei Bier. Hier werde üblicherweise zwischen alkoholfreiem Bier (mit Alkoholresten) und „Bier ohne Alkohol“ oder „0,0 %“ unterschieden. Eine Gewährleistungsmarke aber, die ohne Interpretationsspielraum verspreche, dass die gekennzeichneten Produkte gentechnikfrei sind, berge die Gefahr der Verbrauchertäuschungen, wenn dies wirklich nicht immer der Fall ist.

Unbeachtlich war, dass sogar die europäischen und deutschen Gesetze Ausnahmen von der Gentechnikfreiheit zulassen. Wäre das relevant, würde die Gewährleistungsmarke ihren Sinn verlieren. Sie soll für den Verbraucher ja gerade sicherstellen, dass Produkte nach ihren zertifizierten Eigenschaften unterschieden werden können. Wenn sie jedoch unmissverständlich auf die Zertifizierung bestimmter Eigenschaften verweist, die nach ihren Benutzungsbedingungen jedoch nicht immer vorliegen müssen, stellt sie ihren Zweck selbst infrage.

Weil das staatliche Siegel somit den Verbraucher täuschen kann, wurde ihm der Schutz einer Gewährleistungsmarke versagt. Es bleibt nunmehr abzuwarten, ob der Gerichtshof der Europäischen Union noch einmal mit dem Fall befasst wird.

EUIPO-BK vom 5. Mai 2023, R 2229/2022-2.

Learnings: Marken müssen halten, was sie versprechen. Analysieren Sie zu diesem Zweck genau die Wörter und grafischen Elemente solcher Marken. Eine Gewährleistungsmarke wird nicht geschützt, wenn sich die Täuschungseignung – wie vorliegend – aus ihrem Wortlaut und ihren Benutzungsbedingungen ergibt. Eine Individualmarke wird nicht geschützt, wenn keine Möglichkeit existiert, in der sie ohne Täuschung verwendet werden kann. Unabhängig von der Frage der Schutzfähigkeit solcher Marken ist eine irreführende Benutzung täuschender Marken jedoch stets verboten. Wirken Sie einer Täuschungsgefahr daher besser bereits bei der Zeichengestaltung entgegen!

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